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Suizid oder Neuanfang

Erfahrungsbericht: Lebenskrise meistern

Eigentlich hätte ich tot sein sollen. Doch etwas hat mich vom Suizid abgehalten. Wohl meine Frau und mein Sohn. Vielleicht auch, dass ich zu viel Angst hatte, auf die Gleise zu gehen …

Ich bin 39 Jahre alt und beginne 2013 die zweite Hälfte meines Lebens. Doch der Reihe nach.

Mein Traum war die Selbstständigkeit. Diesen Weg ging ich ausdauernd und beharrlich: Nach meiner Maurerlehre absolvierte ich frühestmöglich die Meisterschule. Nach erfolgreicher Prüfung folgte eine Weiterbildung zum Betriebswirt. Durch diese Kombination wollte ich einen Job als Bauleiter, den ich dann auch bekam. Durch die Insolvenz meines damaligen Arbeitgebers erfüllte sich mein Traum früher als gedacht. Ich kaufte die Betriebsausstattung und übernahm die Arbeitnehmer. Ich wurde selbstständig, mein Traum hatte sich erfüllt.

Parallel hatten meine Frau und ich ein Haus gebaut, einen Sohn bekommen, meine Frau machte sich als Raumausstatterin selbstständig. Alles schien perfekt. Doch geschäftlich und privat hatten wir uns verschuldet. Zudem hatte ich hohe laufende Kosten.

Schnell war ich in der Selbstständigkeit angekommen: wenig Freizeit, wenig Zeit für Familie und Freunde, finanzielle Sorgen. Weil ich ein Gut-Mensch bin, konnte ich niemanden entlassen, obwohl ich es hätte tun müssen. Die Außenstände stiegen stetig an. Doch ich hatte nicht den Mut, meine Vertragspartner unter Druck zu setzen. Der Wunsch, es allen Recht zu machen, war meine Grundregel.

Durch diese Kombination gepaart mit der Veranlagung, nicht Nein sagen zu können, geriet mein Privatleben immer mehr aus den Fugen. Meine Frau merkte lange vor mir, dass ich in einem Abwärtsstrudel trieb. Besonders in Bezug auf meine Gesundheit. Mein Rücken und die Knie schmerzten, mein Magen rebellierte. Kein Schlaf, Dauerstress. Der Alkohol spielte eine immer größere Rolle, da ich mich damit entspannen und von meinen Problemen ablenken konnte. Ich verstrickte mich in ein fadenscheiniges Lügennetz, nur um keine unangenehmen Termine wahrnehmen zu müssen. Dann kam der Totalkollaps. Ich war soweit, mir das Leben zu nehmen. Ich schämte mich. Meine Ansprüche an mich selbst hatten nichts mehr mit dem Dasein zu tun, das ich nun lebte. Ich hatte keinen Überblick mehr über das Tagesgeschäft und konnte meinen finanziellen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen. Ich traute mich kaum noch in die Öffentlichkeit.

Und dann fand ich doch die Kraft, das Ruder herumzureißen. Statt aus dem Leben zu scheiden, begann ich, mit meiner Frau zu sprechen. Endlich. Meine Frau zog die Notbremse und half mir, Insolvenz anzumelden.

Daraufhin begann eine einjährige Episode, die geprägt war vom Kampf mit Anwälten, Krankenkassen, Banken und Versicherungen. Finanziell ging es uns sehr schlecht, manchmal wussten wir nicht, was wir essen sollten. Es schien alles weg zu sein. Diese Zeit war für uns die Hölle auf Erden. Meine Frau hat das Meiste geregelt, da ich mich in dieser Zeit fast ausschließlich in ärztlicher Betreuung befand. Diagnose: schwere Depression und Alkoholabhängigkeit. Meine Welt war zerbrochen und mein Weltbild zerfiel.

Ohne Geduld und Beratung hätten wir es nicht geschafft. Es gab Zeiten wo wir selbst keine Kraft mehr hatten, um gegen Krankenkassen, Banken und Versicherungen zu kämpfen und der Taktik des „Aushungern“ zu begegnen.

Durch eine ambulante Psychotherapie ging es langsam doch stetig aufwärts. Ich musste einen Abstinenzvertrag unterschreiben. Das funktionierte. Was mir aber am meisten geholfen hat, ist die Tatsache, dass ich meine Depression angenommen habe und viele Gespräche mit meiner Frau und engen Freunden geführt habe. Wir sind als Familie zusammengewachsen. Wir reden nun über unsere Probleme. Wenn ein Problem ausgesprochen ist, dann erscheint es nicht mehr so groß.

Ich habe zwar meine Firma verloren, doch meine Rolle als Vater und Ehemann wieder zurückerhalten. Ich werde künftig nicht mehr selbstständig tätig sein. Ich strebe ein Studium der Sozialpädagogik an. Ich habe gemerkt, dass dies meiner Veranlagung entspricht: Gut-Mensch bleibt Gut-Mensch. Da helfen die ganzen Ausbildungen nichts. Aus mir wird kein Geschäftsmann. Das hat mir die Krise gezeigt.

(Autorin: Sigrun Wieske)