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Schlafstörungen

Tagesreste sind nachtaktiv –
Was den Menschen nachts umtreibt und wie man damit aktiv umgehen kann
Wie Bläschen steigen die Gedanken aus der Tiefe des Gehirns ins Bewusstsein auf. Sobald die Ruhe einkehrt und nichts den Menschen ablenken kann, die Abwehrmechanismen des Tages nicht mehr greifen, machen die Gedankenblasen „blubb“ und sind auf einmal da. Sie füllen im Nu das gesamte Denken und Fühlen aus. Es sind die Reste des Tages, die raumfordernd um sich greifen.

Der Kunde ist König, Teil 1
Peter Lehmann (Name geändert) ist 40 Jahre alt, hat eine kleine Firma mit vier Angestellten, die er von seinem Vater übernommen hat. Er ist verheiratet und kinderlos. Peter Lehmann kommt zu mir zum Coaching. Er leidet unter Schlafstörungen, Überarbeitung, Selbstzweifel und mangelnder Freizeit.

Der Tag von Peter Lehmann sieht so aus: Früh morgens um 6.30 Uhr erscheint er in seiner Firma, bedient die Maschinen selbst, bringt die Ware selbst zum Kunden, betreibt das Büro selbst, nimmt Telefonate entgegen, schreibt nach Feierabend Angebote, liest und bearbeitet seine Mails bis Mitternacht und – da er nicht nein sagen kann – arbeitet er häufig an den Wochenenden.

„Der Kunde ist König“ und „Computerarbeit ist keine Arbeit, sondern Spielerei“ sind die väterlichen Normen, die er verinnerlicht hat. Somit duckt er vor den Kunden, lässt sich unter Druck setzen, wird beschimpft, ohne sich wehren zu können. Parallel beginnen die Angestellten sauer auf ihn zu werden, weil sie so häufig Überstunden machen müssen. Seine Frau fragt sich, wozu sie einen Ehemann hat, die Freunde rufen nicht mehr an – kurz gesagt: Die Hütte brennt.

Nachts liegt Peter Lehmann wach, weil ihm einfällt, dass er für Kunde A die Arbeit nicht termingerecht fertig bekommen wird. Er plant in Gedanken, wie er – ohne weiteren Ärger zu bekommen – es dennoch irgendwie schaffen könnte. Dann fällt ihm ein, dass Kunde B schon seit drei Tagen auf ein Angebot wartet und dies am Abend in einer Mail angemahnt hatte. Und dann ist da noch die sich abschwächende Konjunktur. Es dauert lange, bis Peter Lehmann in den Schlaf findet. Die Tagesreste scheinen unauflösbar. Der Teufelskreis ist klar: Der dauergestresste Mensch, dessen Stresshormone selten oder sogar nicht mehr abgebaut werden, „kommt nicht runter“, bleibt immer auf Habachtstellung und kann Gedanken und Gefühle nicht mehr abstellen, wenn der Kopf das Kissen berührt. Er bleibt die halbe Nacht wach; grübelnd und unruhig liegt er im Bett. Am nächsten Tag steht er gerädert auf, erlebt sich bei der Arbeit als unzureichend, nicht effektiv, macht Fehler, schafft sein Pensum nicht und geht mit dem Kopf voller Arbeitsgedanken, Selbstvorwürfen und Schamgefühlen nach Hause, um auch diese Nacht wie die letzte zu verbringen.

Hier lauert die Gefahr einer Sucht, denn die meisten Menschen halten Schlafstörung nicht aus. Um runterzukommen, trinken sie größere Mengen Alkohol oder/und nehmen Schlaftabletten zu sich. Für eine kurze Krise kann das in Ordnung sein. Doch wird aus dieser Krise Normalität, lauert die Abhängigkeit und Entspannung ist nur noch mit Alkohol oder/und Schlaftabletten möglich.

Wer nicht mehr ohne Suchtmittel schlafen kann – oder glaubt, nicht mehr schlafen zu können – muss beginnen, die Ursachen für die Schlafstörung zu erkennen und diese zu bekämpfen. So auch Peter Lehmann.

Der Kunde ist König, Teil 2
Er hat im Coaching gelernt, die tradierten Vorstellungen des Vaters zu relativieren. Er hat gelernt anzuerkennen, dass Arbeiten am Computer wertvolle und wichtige Arbeiten sind. Er hat gelernt, dass für ihn als Chef einer kleinen Firma die Augenhöhe mit den Kunden – selbst wenn es große Unternehmen sind – die angemessene Höhe ist und er einen respektvollen Umgangston erwarten kann. Er hat zeitgemäßes Zeitmanagement gelernt und sich ganz in der Führungsrolle eingelebt. Er hat gelernt, Arbeiten zu delegieren und sich und seinen Mitarbeitern an Wochenenden den Rücken freizuhalten. Er ruft seine Mails morgens zwischen 9 und 12 Uhr ab und bearbeitet sie, abends arbeitet er nicht mehr am PC. Mittags bleibt er nicht mehr in der Firma, sondern geht zum Essen und Ausruhen nach Hause. So lebte die Beziehung zu seiner Frau wieder auf und unterbrach die Stressspirale. Er hat gelernt, sich abzugrenzen und Arbeit von Freizeit zu unterscheiden.

Alkohol trinkt er nicht mehr, um runter zu kommen, sondern nur noch zum Essen. Sein Schlaf ist wieder normal. Wenn er doch grübelnd wach wird, dann liegt neben seinem Bett ein Notizbuch, in das er seine Gedanken niederschreibt, damit sie aus dem Kopf sind. Ich nenne dies das „Externalisieren des Gehirns“. Denn Dinge, die man sich merken möchte, haben die Angewohnheit, im Kopf umher zu spuken. Sind sie notiert, kann man sie getrost loslassen.

Familienunternehmen
Heino Ludewig (Name geändert) ist Geschäftsführer einer Firma mit 40 Angestellten. Sein Vater hat ihm als Geschäftsführer die Verantwortung für die Firma übertragen. Der Vater lebt noch und ist weiterhin Inhaber des Unternehmens. Er besteht weiterhin darauf, alle Entscheidungen zu treffen. Einerseits soll der Sohn funktionieren und gute Zahlen vorlegen. Andererseits hat der Sohn wenig Autonomie und Entscheidungsbefugnisse. Das ärgert Heino Ludewig zunehmend.

Zu Beginn seiner Rolle als Geschäftsführer fühlte er sich von seinen Vater geehrt. Er wog sich im Glauben, dass diese Situation nur eine Übergangslösung sei. Doch, nachdem der Vater sein Regiment weder im Alter von 70, 75 und jetzt mit 80 Jahren abgegeben hatte, war jede Hoffnung geschwunden. Heino Ludewigs Unzufriedenheit hatte einen Höhepunkt erreicht. Emotional schwankte er zwischen Hass und Aufgeben und zwischen Resignation und Resthoffnung.

Alle Lösungsideen, die ihm kamen, erschienen ihm undurchführbar. Einerseits war weggehen keine Lösung, weil er damit seine eigene Altersabsicherung gefährden würde und zudem wäre sein Vater zutiefst enttäuscht. Auch eine Auseinandersetzung fruchtete nicht – der Vater blieb hart. Heino Ludewig litt unter Schlafproblemen und Bluthochdruck. Morgens stand er gerädert auf, hatte keine Lust zu arbeiten und regte sich tagsüber immer wieder heftig auf. Ein Arzt wollte ihn krankschreiben, doch er weigerte sich. Alleine würde sein Vater die Arbeit nicht schaffen. Ein Teufelskreis.

Heino Ludewigs Verhalten hatte negative Auswirkungen auf das Betriebsklima. Die Mitarbeiter hielten nicht viel von ihm, weil er sich nicht gegen seinen Vater durchsetzen konnte. Die alten Mitarbeiter, die seit Jahrzehnten für seinen Vater gearbeitet haben, hielten sich an das, was vom Senior kam, die Unterstützer vom Junior hatten längst aufgegeben und machten ihren Dienst nach Vorschrift. Da dieser Führungskrieg unweigerlich zu Defiziten in der Kommunikation und Zuständigkeit führte, kam es immer wieder zu Problemen mit rechtzeitiger Lieferung und in der Produktion. Auch bei den Kunden war der Twist der Generationen angekommen, einige sprangen ab, andere hielten zum Junior.

Die Zwickmühle, in der Heino Ludewig steckte, führte ihn in das Gefühl von Ausweglosigkeit und Hilflosigkeit. Ganz gleich wie sehr er sich bemühte, Lösungen zu finden, er fand keine. Nachts brodelt es in ihm. Die Gefahr, die ihm drohte, war ein Burnout oder schlimmstenfalls ein Herzinfarkt. Doch er würde nicht weichen – das war sein Schicksal. Genau wie sein Vater. Auch er wollte nicht weichen.

Angst vor dem klärenden Gespräch
Hermann Bayer (Name geändert) ist 52 Jahre alt, arbeitet im Außendienst einer großen Versicherungsgesellschaft. Die Arbeit hat ihm all die Jahre viel Freude bereitet und er war erfolgreich. Bis zu seinem Burnout. Seit einem Jahr ist Hermann Bayer krankgeschrieben. Derzeit befindet er sich in der Wiedereingliederung.

Als Außendienstmitarbeiter bedeutet dies eine enorme finanzielle Einbuße. Das Grundgehalt ist gering, das eigentliche Gehalt wird über Provisionen verdient. Doch er kann nicht mehr so arbeiten, wie er möchte. Die Konzentration ist kaum noch vorhanden, er merkt sich die Daten der Kunden nicht mehr, er ist nach vier Stunden Arbeit ausgelaugt. Er weiß, dass er diese Arbeit nicht mehr so weiter machen kann. Doch er sieht keine Möglichkeit einer Veränderung. Er hat Angst, mit seinem Chef darüber zu sprechen und schiebt dieses Gespräch über Monate hinweg vor sich her. Was könnte …, was würde … Konjunktive sind das Öl im Feuer der Angst. Je weniger Fakten zur Verfügung stehen, desto größer wird die Fantasie. Und nachts ist diese kaum zu bremsen und das bedeutet Dauerstress.

Schließlich hat das Gespräch doch stattgefunden. Sein Chef hat ihm eine Aufstiegsmöglichkeit bei festem Gehalt angeboten. Das hätte Hermann Bayer nie gedacht. Er konnte wieder schlafen – zumindest überwiegend. Es blieb noch ein Rest Angst vor der konkreten Veränderung, doch die war beherrschbar.

Die Beispiele beschreiben, wie in vielen Fällen durchaus Einfluss auf die Nachtruhe genommen werden kann. In allen Beispielen sind Lösungsansätze, die auch funktioniert haben. Eine Faustregel besagt: Wer Durchschlafprobleme hat, dessen Sorgen gelten der Zukunft. Wer Einschlafprobleme hat, der verarbeitet Reste von gestern.

(Autorin:  Sigrun Wieske)